Die Preisverleihung

Greifswald/Ahrenshoop: Anne Martin gewinnt den Literaturpreis MV 2022

Die Autorin und bildende Künstlerin wurde am 1. Oktober mit dem diesjährigen Literaturpreis MV für ihren Text „Der freie Wille von drei Kilo Einzellern“ von der Jury ausgezeichnet. Zudem gewann die 36-jährige Greifswalderin den mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis.

Die Jury lobte Anne Martins Text als ein Werk, das frisch und frech daherkomme, aber große und schwierige Themen behandle. Ihr Text, den sie fertigstellen und als Buch herausbringen möchte, handelt von jugendlichen Protagonisten, die Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen, sich selbst verletzen oder mit Essstörungen kämpfen. „Anne Martin schreibt mit Witz und Wucht, ihr Text ist mutig und kraftvoll – ein wundervolles Beispiel für die literarische Darstellung von den Zumutungen unserer Zeit an Orten, die nur selten so ehrlich und respektvoll beleuchtet werden“, so der Laudator und Buchblogger Stefan Härtel.

Anne Martin gewann somit den Hauptpreis, der aus einem Stipendium von 3.000 Euro und einem Aufenthalt im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop besteht.

Während der Veranstaltung wurden außerdem drei Publikumspreise im Wert von insgesamt 1.800 Euro vergeben. Der erste Publikumspreis (1.000 Euro) ging wie auch der Hauptpreis an Anne Martin, den zweiten Publikumspreis (500 Euro) erhielt Steffen Dürre und der dritte Publikumspreis (300 Euro) ging an Anke vom Sund.

Über die Publikumspreise entschieden die rund 140 Besucherinnen und Besucher vor Ort. Außerdem wurde die Veranstaltung gestreamt, sodass die Zuschauerinnen und Zuschauer ebenfalls online zusehen und per Wahlfunktion abstimmen konnten. Der Livestream der Lesung verzeichnete fast 1.800 Zugriffe und knapp 600 Zuschauer stimmten im Netz mit ab. 

Die Ausschreibung und Verleihung des Literaturpreises MV erfolgt alle zwei Jahre. Organisator:innen sind das Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop, das Literaturhaus Rostock und das Literaturzentrum Vorpommern im Koeppenhaus in Greifswald in Kooperation mit dem LiteraturRat MV e. V. Der Preis wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie durch einen privaten Sponsor.


Lesung und Siegerehrung

Falls Sie bei der Lesung der sechs Nominierten nicht dabei sein konnten oder sich diese noch ein weiteres Mal anschauen möchten, haben wir Ihnen nun die Aufnahme der Veranstaltung Literaturpreis MV 2022 zur Verfügung gestellt.


Rückblick zum Literaturpreis MV 2022

„Ich schreibe, also bin ich“ [1]

Verleihung des Literaturpreises MV

von Annika Löffler

Ja, ihr habt richtig gelesen: MV verleiht einen Literaturpreis. Und das schon seit 2017, damals noch jährlich, seit 2018 alle zwei Jahre. 2022 war es also wieder so weit. Bis zum Juni konnten anonymisiert Texte eingereicht werden. Aus sechs Nominierten wurde diesen Sonntag, am 01. Oktober 2022, im Kunstmuseum Ahrenshoop ein:e Sieger:in gekürt. Ich war für euch dort und habe mir die Texte der Finalist:innen angehört.

Steffen Dürre eröffnete mit einem Prosatext. Man folgt hier einer Diskussion bzw. einem Disput zweier schreibender Figuren über das Schreiben und das Autor-Sein. Nach ihm folgte Odile Endres mit Gedichten, die unter anderem von der barocken Dichterin Sybilla Schwarz und der Pilotin Amelia Ehrhart inspiriert waren, thematisierte außerdem die Katastrophen unserer Zeit und schloss ihren Vortrag mit einem Greifswalder Zauberspruch gegen den Krieg. Anne Martin las einen Auszug aus einem Prosa-Text über eine junge Frau mit einer Essstörung. Darauf folgte Lukas Valtin, dessen Text mit einer Vasektomie für 500 Euro öffnet und der ein unvorhersehbares Ende nimmt. Anke vom Sund lässt ihre Figur ihre Geschichte anhand von Naturmetaphern und Jahreszeiten planen, dabei geht es viel um Flüsse und Schnee und irgendwie auch um Heringe. Peter Wawerzinek schloss den Abend mit Generationsunterschieden, Umwelt, Natur und der DDR, in einem ihm eigenen, bemerkenswerten Stil.

Zu vergeben war ein Hauptpreis, außerdem konnten die vor Ort und im Stream Zuschauenden über drei Publikumspreise abstimmen. Am Ende gewann Anne Martin, was die Jury mit der Vielschichtigkeit ihres Textes, der ungeschönten Darstellung großer, schwerer Themen und dem Witz und der Wucht ihres Schreibens begründete. Die drei Publikumspreise gingen in dieser Reihenfolge an: Anne Martin, Steffen Dürre und Anke vom Sund. Alle finalen Texte werden bald in einer Anthologie erscheinen.

[1] Zitat aus dem Text von Steffen Dürre


Die Nominierten

Odile Endres, Studium an den Universitäten Aix-en-Provence (Lettres Modernes) und Heidelberg (Germanistik, Romanistik, Computerlinguistik). In den 1990er Jahren schrieb sie Internet-Literatur und Prosa. Danach entwickelte sich ihr literarischer Schwerpunkt hin zur Lyrik. Sie ist Mitbegründerin der „lesebühne tEXTRAbatt“, war Mitherausgeberin der Lyrikreihe im Verlag „Mückenschwein“ (Stralsund), wissenschaftliche Mitarbeiterin mit den Schwerpunkten Schreibkompetenz und Schreibberatung an der Universität Greifswald. 2021 erhielt sie das Austauschstipendium des Künstlerhauses Lukas für das Ostseezentrum für Schriftsteller und Übersetzer, Visby/Schweden. Veröffentlichungen auf Internetportalen, in Zeitschriften und Anthologien sowie den Lyrikband „von bussen und büffeln“ (Freiraum Verlag). Die Autorin lebt und arbeitet in Greifswald.

Anne Martin, geboren 1986 in Erfurt. Sie studierte Philosophie, Anglistik, Kulturwissenschaft an der Universität Leipzig und legte ihr Staatsexamen in Kunst, Englisch und Philosophie an der Universität Greifswald ab. Ihre Werke bildender Kunst waren in mehreren Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. Sie war Lyrikpreisträgerin beim Wettbewerb „poet_bewegt“ 2015 und wurde im Rahmen des Professionalisierungsprogramm „mentoring KUNST“ 20182020 gefördert, ihre Mentorin war Kerstin Preiwuß. 2018 gewann sie den Förderpreis des Kunstvereins G7 e.V. im Rahmen der Insomnale. 2021 bekam sie ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Lukas, Ahrenshoop 2021. Sie veröffentlichte Texte in Zeitschriften und Anthologien, u.a. in der Literaturzeitschrift „Risse“. Sie lebt und arbeitet in Greifswald.

Anke vom Sund, geboren 1970 in Stralsund, wohnhaft in Berlin und Stralsund. Sie studierte Neue Deutsche Literatur und Romanistik sowie als Zusatzstudium Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache an der Humboldt-Universität zu Berlin. Außerdem studierte sie zeitgenössische lateinamerikanische Literatur an der Universidad Nacional de Colombia, Bogotá, Kolumbien. Sie arbeitete als Lektorin, Redakteurin sowie im Kultur- und Wissensmanagement. Als Autorin des „ABC zur See“ absolviert sie Auftritte mit musikalisch-literarischem Programm, sie initiierte das multimediale Projekt „Friss Liebe“ und ist Inhaberin des Labels für Poesie im Alltag „Fisch&Kopp“. Ihre Texte erschienen in verschiedenen Anthologien und Zeitschriften.

Steffen Dürre, 1983 in Weimar geboren, 1988 Umzug nach Rostock. Er studierte Germanistik und Philosophie und schrieb seine Abschlussarbeit über „Die Evidenz der Lyrik. Stiftet Dichtung Erkenntnis? Eine Auseinandersetzung mit Wilhelm Dilthey und Hermann Schmitz“. Dürre ist Gründer und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Weisz auf Schwarz“ und Veranstalter des Literaturfestivals TXT.Fest. Er lebt als Grafiker und Autor in Rostock.

Lukas Valtin, geboren 1991 in Anklam, aufgewachsen in Ostvorpommern. 2011–2021 Studium der Literatur und Anglistik in Berlin und Nottingham (UK). Auslandsaufenthalte in Norwegen, Uganda, Frankreich und zuletzt für den DAAD in Brasilien. 2009 war er Finalist
des Hattinger Förderpreises für junge Literatur, 2016 des Richtungsding-Preises und 2017 des Literaturpreises Mecklenburg-Vorpommern. Er arbeitete mehrere Jahre als Tutor an der Humboldt Universität in Berlin. Aktuell ist er Akademischer Mitarbeiter am Sprachenzentrum der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Er war lange Redakteur der Literaturzeitschrift „metamorphosen“.

Peter Wawerzinek. 1954 in Rostock geboren, wuchs ich ohne Eltern entlang der Ostseeküste in so guten Orten wie Ostseebad Nienhagen, Ostseebad Rerik, Bad Doberan auf, besuchte die EOS, ging nach Plauen, Vogtland in die Lehre, wurde von Beruf her Textilzeichner, schrieb mich als solcher für das Fach Textilgestaltung in die Kunsthochschule Berlin Weissensee ein, musste das Studium nach zwei Jahren abbrechen, arbeitete zehn Jahre lang in verschiedenen Berufen, um ab 1988 den Versuch einer freiberuflichen Existenz als Schreibender zu unternehmen. Vom Begriff Textilgestalter ist die Silbe Text eine für mein weiteres Leben vorantreibende Silbe geworden. Vierzig Jahre in Berlin sesshaft, zog es mich regelmäßig in Regionen, wo Einsamkeit, Landschaft und Inspiration vorherrschen. Ich habe Berlin verlassen, lebe in Rom, bin von der Literatur besessen; ein unheilbarer Wahn lässt mich Texte schreiben, die mitunter zu Büchern reifen. Ich entwickle mich in eigener Regie als Fortsetzungstäter.


Die Jury

Siv Stippekohl, geboren 1971 in Berlin. Unheilbar lesesüchtig seit Kindertagen. Studierte Politikwissenschaften und Sozialpsychologie und leitet die multimediale Kulturredaktion des NDR in Mecklenburg-Vorpommern. Für ihre journalistische Arbeit mit dem Landesmedienpreis sowie dem Bürgerpreis der Deutschen Einheit ausgezeichnet. Für den NDR veröffentlichte sie Sachbücher über die Friedliche Revolution im Norden der DDR sowie Audio-Dokumentationen, beispielsweise „Literarische Gegenwelten – Das Archiv unterdrückter Literatur in der DDR". Hat ein Faible für Menschen in der Geschichte und ihre Geschichten (vor der Haustür).

Stefan Härtel, 1978 in Rostock geboren, betreibt seit 2015 den Literaturblog „Bookster HRO“, mit dem er dreimal hintereinander im Finale für den Buchblog-Award stand, der jährlich während der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Auf seinem Blog bespricht er
hauptsächlich aktuelle Romane, aber auch Kurzgeschichtenbände und Graphic Novels. Er saß für die letzte Staffel des Blogbuster-Preises in der Jury und erreichte zusammen mit der Autorin Sylvia Wage dort den 1. Platz. Er ist regelmäßiger Gast in der Literatursendung des
Radiosenders LOHRO. Stefan Härtel lebt mit seiner Familie in Rostock.

Gregor Sander, geboren 1968 in Schwerin, schloss Ausbildungen zum Schlosser und zum Krankenpfleger ab und studierte danach einige Semester Medizin, Germanistik und Geschichte. Nach dem Besuch der Berliner Journalistenschule lebt er heute als freier Autor in Berlin und in Vorpommern. Sein in Schwerin spielender Debütroman „Abwesend“, wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der Erzählungsband „Winterfisch“ erhielt den 3sat-Preis in Klagenfurt, den Preis der LiteraTour Nord und den Deutschen Erzählerpreis. Für die Verfilmung seines Romans „Was gewesen wäre“ verfasste er auch das Drehbuch. Im Frühjahr erschien Sanders siebtes Buch „Lenin auf Schalke“.


Die Orga

Die vier organisierenden Institutionen des Literaturpreises Mecklenburg-Vorpommern sind das Literaturzentrum Vorpommern im Koeppenhaus (Greifswald), das Künstlerhaus Lukas (Ahrenshoop), das Literaturhaus Rostock und der LiteraturRat Mecklenburg-Vorpommern e. V. Eine Anthologie mit den Texten aller Finalist:innen erscheint seit 2019 im traditionsreichen Hinstorff Verlag (Rostock).

Der Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern wird ermöglicht durch die Förderung des Ministeriums für Wissenschaft, Kultur, Bunds-und Europangelegeneiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern und einen privaten Sponsor. Die Organisatoren des Preises bedanken sich an dieser Stelle für die Unterstützung der Literatur in und aus Mecklenburg-Vorpommern.